BUCHTIPP
Acht auf einen Streich
Unser Mitteilungsblatt „Alte Kirchen“ berichtete in der Vergangenheit mehrfach über interessante emblematische Bildzyklen in brandenburgischen Dorfkirchen. Diese in der Barockzeit äußerst beliebte Kunstgattung bemalter Kastengestühle oder Emporeneinbauten war bereits Gegenstand der erfolgreichen Spendenaktion „Vergessene Kunstwerke“, zuletzt und besonders prominent in der Dorfkirche Kunow bei Schwedt (Uckermark). Die anschließenden Restaurierungsarbeiten ließen die religiösen Emblemmalereien – bestehend aus einer Überschrift (motto), einem Bildfeld (pictura) und einem Sinnspruch (epigramm) – wieder kraftvoll erstrahlen. Die Entschlüsselung der christlichen Bildprogrammatik aus der frühen Neuzeit geben jedoch heutigen Besuchergruppen immer wieder Rätsel auf. Zu vieles in der Emblematik und den dazugehörenden Erklärungsversen mit Bibelverweisen ist aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden und macht eine fachkundige Führung notwendig.
Von der Verlagsgruppe Schnell & Steiner in Regensburg ist 2023 eine achtbändige Ausgabe erschienen, die von Prof. Johann Anselm Steiger (Institut für Christentumsgeschichte und Historische Theologie, Reformation und Neuzeit, Universität Hamburg) herausgegeben wurde. Diese bemerkenswerte Serie – fast schon eine geschlossene Bibliothek – widmet sich speziell der „ars emblematica“ in Sakralbauten des 17. und 18. Jahrhunderts des europäischen Ostseeraums von Dänemark, Norddeutschland, Polen bis Kaliningrad. Zwei der Bände erläutern uns eindrückliche Beispiele aus Vorpommern. Der kulturellen und kunstgeschichtlichen Verwandtschaft der ausgewählten Beispiele Kummerow, Steinhagen, Anklam (Bd. 4) sowie Bobbin, Mellenthin, Rappin, Landow und Zudar (Bd. 5) zu nordbrandenburgischen Sakralbauten wird man sofort gewahr. Steiger führt uns allein anhand der Dorfkirche Kummerow tief in die lutherische Emblematik hinein, die zur Entstehungszeit protestantisch inspirierte Konzeptkompositionen zur Erbauung des Glaubens (fides), der Frömmigkeit (pietas) und der Bußfertigkeit (poena) in Formvollendung boten. Rückläufig war die stilgebende Epoche ritterlicher Heraldik der Stifter und Patronsfamilien, vorbei die Spielarten mittelalterlicher Bildprogramme auf Emporen und Gestühlen. Verblüfft schaut man auf frühneuzeitliche Verarbeitungen von Sinnbildern wie Sonnen- oder mechanischen Wanduhren, Kugeln, Leuchtraketen, dem Motiv des Kompasses oder eines Magneten. Selbst das Brennglas, das die göttlichen Sonnenstrahlen bündelt, um das Feuer des Glaubens zu entfachen, wird zur bildlichen Metapher des Menschen als irdisches Medium des Christentums. Steiger gelingt in der Darstellung und bildlichen Illustration vortrefflich der argumentative Nachweis intermedialer Querbezüge zwischen biblischen Referenzen, erbaulichen Sinnversen zur Vertiefung der religiösen Botschaften bis hin zur Rekonstruktion der seitens der damaligen Kunstmaler verwendeten Druckvorlagen (Stiche) aus dem 17. und 18. Jahrhundert, wie unter anderen der Ausgabe „Sämtliche Geistreiche Bücher Vom Wahren Christentum“ von Johann Arndt, erschienen 1700 in Frankfurt am Main. Mit der kunstwissenschaftlich-kirchengeschichtlichen Fokussierung auf die Entschlüsselung reformatorisch-frühneuzeitlicher Emblematik bleiben einzig Wünsche nach breiteren Schilderungen historischer Kontexte offen. Doch die großformatigen Abbildungen und präzisen Einbettungen der buchexternen Kircheninventarschätze der gesamten Serie lassen getrost darüber hinwegsehen.
Sascha Topp
Johann Anselm Steiger
Emblematik in Sakralbautendes Ostseeraums. Bd. 4
Vorpommern I Kummerow, Steinhagen, Anklam
Verlagsgruppe Schnell & Steiner
Regensburg 2023
25,00 Euro
(Einheitspreis für jeden der acht Bände)