Buchtipp

Werner Bätzing: Das Landleben

Seit im Jahr 2005 die inzwischen immens erfolgreiche Zeitschrift „Landlust“ auf den Markt kam, hat das Landleben eine neue, romantisch geprägte Komponente in der Öffentlichkeit bekommen. Steigende Mieten in den Großstädten und die Möglichkeit, bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausschließlich am Arbeitsplatz in der Stadt, sondern im Homeoffice ausführen zu können, haben die Attraktivität des Lebens auf dem Dorf ebenfalls beflügelt. Doch ist die damit verbundene Sicht auf „das Landleben“ realistisch?

Gibt es heute überhaupt noch ein Leben auf dem Land, das nicht städtisch geprägt ist? Und brauchen wir in der modernen Welt überhaupt ein Landleben? Diesen Fragen stellt sich der Autor Werner Bätzing, emeritierter Professor für Kulturgeographie, in seiner neuesten Publikation.

Das Buch beginnt mit einem 12.000 Jahre zurückreichenden historischen Überblick über den ländlichen Raum und versucht, daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Beleuchtet wird im geschichtlichen Teil das von Anfang an ambivalente Verhältnis zwischen Stadt und Land. Ohne die Nahrungsmittelproduzenten in den ländlichen Räumen und deren steigende Produktivität hätten sich Städte überhaupt nicht entwickeln können. Während das wirtschaftliche und soziale Gefüge in ländlichen Gebieten sich über Jahrhunderte hinweg nur extrem langsam änderten, stellt Bätzing gravierende Brüche durch die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert und noch einmal durch den Strukturwandel der Nachkriegszeit ab etwa 1960 fest. Durch die systematische Rationalisierung der Landwirtschaft und die Abwanderung der verarbeitenden und produzierenden Wirtschaft in die Städte hat sich die Zahl der Arbeitsplätze auf dem Land extrem reduziert. Der Anteil der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft betrug 2017 nur noch 1,4%. Dies hat zur Folge, dass die über Jahrtausende vorhandene Identität von Landleben und Landwirtschaft, die ländliche Regionen fast autark machte, abgerissen ist.

„Die Bauern werden zur Minderheit auf dem Land.“ resümiert Bätzing. Zahlreiche Dörfer dienen heute lediglich noch als Wohnstätten. Die Mobilität durch Massenmotorisierung ließ Auspendlergemeinden entstehen, was natürlich auch die soziale Interaktion im Dorf negativ beeinflusste. Im weiteren Umfeld der größeren Städte entstanden urbanisierte Zonen, von Bätzing als „Zwischenstadt“ bezeichnet. Der Autor konstatiert, dass der ländliche Raum in den letzten rund zweihundert Jahren immer nur entwertet und geschwächt wurde. Für die zu Beginn dieser Rezension angesprochenen „Landlust“-Leser reduziert sich der ländliche Raum vielfach auf die Entdeckung der „schönen Landschaft“.

Für die Zukunft sagen Prognosen ein starkes Wachstumsgefälle zwischen den Regionen voraus. Während die metropolennahen Gebiete wachsen und ihren ländlichen Charakter weiter einbüßen, werden periphere Gebiete zunehmend an Bedeutung verlieren.

Werner Bätzings Resümee lautet, „dass das Landleben auch weiterhin unverzichtbar ist“. Dafür ist es notwendig, „das spezifisch ländliche Leben und Wirtschaften zu stärken“. Seine Zukunftsvisionen sind eher niedrigschwellig: Er plädiert unter anderem für direkte Mittelzuflüsse in die dörflichen Kommunen und eine dezentral organisierte, regionsspezifische Wirtschaftsweise, repräsentiert durch ein funktionierendes Netzwerk von Regionalbetrieben.

„Erst wenn das Landleben als eine Einheit von Lebens- und Wirtschaftsform anerkannt wird, die durch ihre Naturnähe, ihre natürlichen Ressourcen und die damit verbundenen dezentralen Siedlungs- und Arbeitsstrukturen das Leben in den Städten erst ermöglicht, kann es auch wirklich eine Zukunft für das Land geben.“

Werner Bätzing: Das Landleben. Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform. Verlag C.H. Beck, München 2020; 302 Seiten; ISBN 978-3-406-74825-7; 26, – Euro