Buchbesprechung: Ein neuer Typus Kirche

Etwa 2.000 Kirchengebäude gibt es im Freistaat Thüringen. Wie überall prägen sie die Kulturlandschaft und sind Teil des kulturellen Erbes. In einem Kooperationsprojekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen und der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands (EKM) wird seit 2016 nach Strategien gesucht, leere oder wenig genutzte Kirchen wieder mit Leben zu füllen. Entwickelt wurde gemeinsam das Projekt „500 Kirchen – 500 Ideen“.
Im September 2019 beschäftigte sich der 29. Evangelische Kirchbautag in Erfurt unter dem Titel „Aufgeschlossen!“ mit dem Thema. Beiträge beschäftigten sich mit dem demographischen Wandel und der Entwicklung des ländlichen Raumes, mit Sozialraumorientierung und dem Selbstverständnis des Glaubens in der modernen Welt. Die vorliegende Publikation veröffentlicht Beiträge des Kirchbautages sowie weitere Texte zur Thematik.
In einem Einleitungsgespräch stellt Elke Bergt, Referatsleiterin Bau des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, fest, „dass ungefähr ein Viertel unserer Kirchen gar nicht oder eben ganz selten genutzt wird. Von den 2.000 Thüringer Kirchen waren das 25 Prozent, also 500. …“ „Bildeten Kirchen früher noch das Zentrum des Dorf- und Stadtlebens, führen kontinuierlich schwindende Mitgliederzahlen heute dazu, dass sie immer häufiger leer stehen oder sogar schließen müssen. Für uns stand die Frage, wie wir die Kirchengebäude wieder mit Leben füllen können.“
Im Rahmen eines Wettbewerbs wurde nach Ideen für erweitere bzw. alternative Nutzungen gesucht, um die Kirchengebäude wieder zu Zentren des Gemeinwesens zu entwickeln. Dabei sollten die Kirchengebäude möglichst in kirchlicher Trägerschaft bleiben. Von fast 500 Einsendungen wurden bisher acht Pilotprojekte realisiert, die im vorliegenden Buch ausführlich vorgestellt werden: die soziokulturelle Zentrumskirche St. Martin in Apolda, die Her(r)bergskirche St. Michael in Neustadt am Rennsteig, die Gesundheitskirche St. Severi in Blankenhain, die Bienengartenkirche St. Peter und Paul in Roldisleben, ein meditativer Spielplatz in der Kirche St. Nicolai in Niedergebra, die digitale und soziale Netzwerkkirche St. Johannis in Ellrich, die noch leere Kirche St. Peter und Paul in Donndorf sowie das Kunstprojekt Organ mit Carsten Nikolai in der Kapelle St. Anna in Krobitz.
Ein Zwischenfazit des Projektes, das nicht als abgeschlossen gilt, sondern sich beständig weiterentwickeln soll, zieht Landesbischof Friedrich Kramer: „Wir Christen haben natürlich das beste Konzept für die Nutzung der Kirche. Dafür ist sie ja da: für’s Singen, Beten, Loben. Wenn wir aber so wenige sind, dass wir sie dafür allein nicht mehr brauchen, ist trotzdem die Kirche die Seele des Ortes. Es stellt sich dann die Frage, wie wir würdig mit ihr umgehen und etwas weiterentwickeln. Die Kirchen gehören nicht uns allein. Wir müssen sie in der und für die Gesellschaft erhalten und deshalb braucht es auch eine gemeinschaftliche Nutzung.“


Jürgen Willinghöfer (Hg.): Ein neuer Typus Kirche – Hybride öffentliche Räume. 208 Seiten, 150 farbige Abbildungen; ISBN 978-3-86859-699-1; 38, – Euro; jovis Verlag, Berlin 2021

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