von Hans Tödtmann

Gegen den Verlust der dörflichen Identität

Die Wiederbelebung der Ortsmitte in Gortz und Butzow

Hans Tödtmann, Architekt, ist Regionalbetreuer des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. für Teile des Landkreises Potsdam-Mittelmark und die Städte Potsdam und Brandenburg/Havel.

Foto: Uwe Sernow-Rose
Dorfkirche und Alte Dorfschule in Gortz

Früher hatte jedes Dorf seinen Bürgermeister, seine Schule, sein Gasthaus und seine eigene Kirchengemeinde mit Dorfkirche, Friedhof und Pfarrhaus. Heute fehlt es vielerorts an dieser dörflichen Mitte, mit ihr ging auch ein Gutteil Identität und Lebensqualität auf dem Lande verloren.

Die benachbarten Dörfer Butzow, Gortz und Ketzür im Norden des Landkreises Potsdam-Mittelmark liegen weder ganz am strukturschwachen Rand des Landes Brandenburg noch im Speckgürtel um Berlin. Im Jahr 2002 schlossen sich die drei bis dahin kommunal selbständigen Dörfer zur Gemeinde Beetzseeheide zusammen, die ihrerseits mit vier weiteren Gemeinden das Amt Beetzsee bildet. Das Gebiet des Amtes Beetzsee gliedert sich in kirchlicher Hinsicht in die Pfarrsprengel Havelsee und Päwesin. Innerhalb des nicht weniger als elf Dorfkirchen umfassenden Pfarrsprengels Päwesin bilden Butzow, Gortz und Ketzür seit einigen Jahren eine Kirchengemeinde.

Sowohl hinsichtlich der Organisation der politischen als auch der kirchlichen Verwaltung wurde also schon vor einiger Zeit die Konsequenz aus dem Bevölkerungsrückgang nach der deutschen Wiedervereinigung gezogen. Aber die alten Dörfer sind in ihrer gebauten Struktur und mit ihrer geschrumpften Bevölkerung ja glücklicherweise noch da. Ihnen droht jedoch der Verlust der Identität und der alten dörflichen Mitte. Gortz hat vorgemacht und Butzow hat als Variante nachgemacht, wie der Kern unserer Dörfer bewahrt und in die Zukunft hinein entwickelt werden kann. Wir zeichnen Parallelen und Unterschiede in der Strategie der Wiedergewinnung der dörflichen Mitte nach.

Foto: Uwe Sernow-Rose
Konzert mit dem Ensemble „Azuleo“ in der Dorfkirche Gortz

Das „Gortzer Modell“

Der Förderverein Gortz setzte sich bei seiner Gründung im Jahr 2001 zum Ziel, die Dorfkirche in Gortz instand zu setzen und die alte Dorfschule zu einer Dorfbegegnungsstätte umzubauen. Der Verein zählte schon bald nach seiner Gründung etwa 50, später noch mehr Mitglieder, darunter eine große Zahl auswärtiger, meist Berliner Unterstützer.

Zum Zeitpunkt der Gründung des Vereins war die Dorfkirche in einem schlechten baulichen Zustand. Besonders die Turmhaube sowie Dach und Decke des Kirchenschiffes zeigten erhebliche Schäden. Gottesdienste fanden nur noch sporadisch statt. Der Förderverein schloss mit der Kirchengemeinde einen Vertrag über die kulturelle Nutzung der Kirche und organisierte seitdem jährlich mindestens vier populäre und häufig brechend gut besuchte Konzerte, meist Jazz-, Pop- oder Folk-Musik aus aller Welt. Es kamen von Jahr zu Jahr mehr Gäste aus dem Umland. Die Spendeneinnahmen aus diesen Veranstaltungen, jahrelang auch die Einnahmen aus dem Verkauf von selbstgemachten Marmeladen und Holundersirup sowie einer Unmenge aus dem Nachlass eines fliegenden Händlers günstig erworbenen Ramschs auf dem Rixdorfer Weihnachtsmarkt in Berlin bildeten den Grundstock der für die Instandsetzung der Gortzer Kirche erforderlichen Eigenmittel.

Bereits Ende 2003 konnte die Sanierung des Kirchendaches und der Fassaden des Kirchturmes abgeschlossen werden. Uwe Sernow-Rose, Metallbildhauer und Ehemann der Vereinsvorsitzenden, hatte in wochenlanger ehrenamtlicher Arbeit die Turmkugel restauriert und die Wetterfahne nach historischem Vorbild rekonstruiert. Im Jahr 2005 wurden die Sanierung des barocken Dachstuhls, die Eindeckung des Daches und die Verfugung der Fassaden des Kirchenschiffes abgeschlossen. Mit Hilfe einer großzügigen Privatspende konnte die Eifert-Orgel restauriert und einem begeisterten Konzertpublikum vorgestellt werden.

Die Aktivitäten des Fördervereins konzentrierten sich dann zunächst auf die Instandsetzung und die bauliche Erweiterung der zuletzt als Kindergarten genutzten Alten Schule. Das niedrige ehemalige Schulgebäude liegt vor der Kirche an der Dorfstraße und ist mit dieser durch die für sommerliche Freiluft-Veranstaltungen und Feste genutzte Kirchwiese verbunden. Der Förderverein übernahm von der Gemeinde Beetzseeheide die Trägerschaft der Alten Schule. Im Frühjahr 2010 wurden die Bauarbeiten abgeschlossen. Im Gebäude untergebracht sind eine kleine Bibliothek sowie ein vielfach für Vorträge, Lesungen, kleine Ausstellungen und Familienfeiern nutzbarer Saal mit Küche und WC.

Kaum war der Umbau der Alten Schule beendet, kümmerte sich der Verein um die weitere Sanierung der Dorfkirche: Die Winterkirchen-Einbauten unter der Orgelempore wurden entfernt. Das Gestühl wurde ein wenig nach hinten geschoben. Vorn in der Kirche entstand so mehr Platz für kulturelle Veranstaltungen. Schließlich konnten die Farbfassungen im Inneren der Kirche fachgerecht restauriert werden. Der Abschluss der Kirchensanierung wurde Ende 2012 im Rahmen eines adventlichen Jazz-Konzertes gefeiert. In den Folgejahren standen die stets gut besuchten Kulturveranstaltungen im Fokus der Vereinsaktivitäten. Einmal wurden sogar 270 Gäste gezählt. Noch im Jahr 2018 lud der Förderverein Gortz zu drei Konzerten in die Kirche und zu einem Vortrag über bemerkenswerte archäologische Grabungen am nahegelegenen Flachsberg in die Alte Dorfschule.

Doch die Zahl der aktiven Vereinsmitglieder wurde altersbedingt immer kleiner. Es gelang nicht, neu zugezogene Familien für den Verein zu gewinnen. Deshalb trat der Verein den „geordneten Rückzug“ an. Im März 2019 erschien die Bekanntmachung der langjährigen Vorsitzenden, Claudia-Karina Rose, dass die Mitgliederversammlung die Auflösung des Fördervereins beschlossen habe. Die Nachricht schloss mit dem Dank an alle, die den Verein 18 Jahre lang durch ihre Freude an den Kulturveranstaltungen sowie durch Spenden unterstützt haben: „Wir hatten das beste Publikum von der Welt!“

Es bleibt dem Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg, dem Gortzer Verein und seiner Vorsitzenden an dieser Stelle herzlichen Dank und große Anerkennung für die Wiedergewinnung der Mitte des Dorfes auszusprechen.

Die Butzower Variante des Modells

Foto: Bernhard Weise
Dorfkirche Butzow

Der 2006 von Bewohnern des Dorfes gegründete Förderverein Butzower Dorfkern e. V. will ein lebendiges Dorfleben erhalten und setzte sich wie der Gortzer Verein die Erhaltung und Instandsetzung der Dorfkirche als identitätsstiftendes Bauwerk zum Ziel. Zudem hat der Verein einen Arbeitsschwerpunkt in der Heimatpflege und Heimatkunde sowie der Durchführung von Kulturveranstaltungen. Ferner unterstützt er den Umbau des der Kirche benachbarten ehemaligen Dorfschulgebäudes zu einem modernen Dorfgemeinschaftshaus. Bernhard Weise, Vorsitzender des Fördervereins, spricht darüberhinaus vom Zusammenwachsen der Dörfergemeinschaft. Der Verein hat heute etwas mehr als 20 Mitglieder. Es kommt weniger auf den Mitgliedsbeitrag als auf die aktive Mitarbeit an.

Als der Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg die Butzower Kirche im Mai 2008 zur „Dorfkirche des Monats“ erklärte, befand sich die 1879 im neuromanischen Stil errichtete Kirche in einem schlechten baulichen Gesamtzustand. Der spitze Helm des Turmes war undicht. Durch die marode Dachdeckung des Kirchenschiffes drang Feuchtigkeit in den Dachstuhl und in die Decke ein. Die Fundamente der Apsis hatten sich gesenkt. Der Chorbogen war durch einen markanten Riss geschädigt.

Die Kirche war zwar noch nutzbar, die Gottesdienste waren aber nur spärlich besucht. Die Kirchengemeinde schwankte eine Zeit lang zwischen dem Gedanken, die Butzower Kirche aufzugeben, und der Idee, diese Kirche wegen der zentralen Lage des Dorfes Butzow innerhalb des Pfarrsprengels langfristig zu einem Zentrum der Gemeindearbeit zu machen. Schließlich siegte der gemeinsame Wille, die Kirche zu erhalten. Doch wegen der Belastung der Kirchengemeinde durch die Kosten der vorrangigen Sanierung der Kirchen in den Nachbardörfern Gortz und Ketzür war an einen Baubeginn in Butzow einstweilen nicht zu denken.

Der Verein nutzte die Zeit, um im Dorf eine vielfältige kulturelle Arbeit mit heimatgeschichtlichem Profil zu entwickeln: Öffentliche Spaziergänge mit lokalhistorischer Spurensuche, Erzählveranstaltungen, Lesungen prominenter Schriftsteller und Politiker, Herausgabe des begehrten Fotokalenders zur Regionalgeschichte und der Flugblattserie „Butzower Anzeiger“.

Foto: Bernhard Weise
Hubertusmesse 2019 in der gut besuchten Dorfkirche Butzow, im Hintergrund das Altargemälde „Christus am Ölberg“

Das Jahr 2012 brachte Wind in das Kirchenprojekt. Der Förderverein Butzower Dorfkern schloss mit der Kirchengemeinde einen Vertrag über die Nutzung der Kirche und der zwischen Straße und Apsis liegenden Kirchwiese. Die Kirchengemeinde beauftragte den Verein mit der Kirchensanierung. Ein Brandenburger Architekturbüro aktualisierte die Schadensanalyse, ermittelte die Kosten und schlug eine Sanierungskonzeption in mehreren Bauabschnitten vor. Als Sofortmaßnahme wurde der Chorbogen durch eine zimmermannsmäßige Stützkonstruktion provisorisch gesichert. In der zur traditionellen Hubertusmesse im November 2013 vollbesetzten Kirche konnte der Förderverein verkünden, dass die Finanzierung des ersten Bauabschnittes stehe und die Baugenehmigung vorliege. Die Sanierung begann im Sommer 2014 mit der Kirchturmspitze. Anschließend konnte die Gründung saniert werden.

Das Kulturprogramm des Fördervereins erlebte wenig später einen Höhepunkt: Auf der Festwiese vor der Butzower Kirche kamen Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe und Ex-Generalsuperintendent Hans-Ulrich Schulz im Rahmen des Brandenburger Dorfkirchensommers 2015 vor großem Publikum ins öffentliche Gespräch. 2016/17 konnten endlich der Dachstuhl und die Balkendecke über dem Kirchenschiff saniert, die Dächer von Schiff und Apsis neu gedeckt und die Putzfassaden ausgebessert werden. Der Riss im Chorbogen wurde saniert. Außerdem wurde im Bereich der Orgelempore die historische Farbfassung von Decke und Wänden restauriert, ein Vorgeschmack auf die noch ausstehende Restaurierung des gesamten Innenraums der Kirche.

Parallel schloss der Förderverein mit der Gemeinde Beetzseeheide einen Nutzungsvertrag für das ehemalige Schulgebäude. Es wird zum Dorfgemeinschaftshaus umgebaut. Gegenwärtig findet der Einbau eines großen Saales statt. Die Küche und die WC-Anlagen werden erneuert. Das „Gortzer Modell“ verspricht auch in Butzow in modifizierter Form Wirklichkeit zu werden.

Gastspiel des Ensembles „Theater in der Kirche vor der Dorfkirche Gortz

Aktuelle Situation und Ausblick

Pfarrer Stefan Jankowski hält in den 13 Dorfkirchen des Pfarrsprengels Päwesin reihum Gottesdienst, selbstverständlich auch in Gortz und Butzow. Obwohl sein Pfarrhaus in Päwesin steht, hat er kürzlich seine Hochzeit in der noch gar nicht zu Ende restaurierten Butzower Kirche in der Mitte des Pfarrsprengels gefeiert. Ein Zeichen! Der Gemeindekirchenrat hat sich durch die Wahlen Ende 2019 erheblich verjüngt. Auch Menschen aus Gortz und Butzow engagieren sich im GKR. Der Betrieb der Alten Schule in Gortz ist an den Ortsbeirat übergegangen. Es finden dort unverändert Familienfeiern statt und die kleine Bibliothek wird ehrenamtlich weitergeführt. Der stellvertretende Vorsitzende des Fördervereins Butzower Dorfkern, Dirk Lange, ist kürzlich zum neuen Bürgermeister von Beetzseeheide gewählt worden. Der „Butzower Anzeiger“ erscheint jetzt als Anzeiger der Gemeinde Beetzseeheide. Dirk Lange hat als erste Amtshandlung alle Vereine und die Kirchengemeinde der drei zu Beetzseeheide gehörenden Dörfer an einen runden Tisch geladen, um die Zusammenarbeit zu stärken. Weiter so!

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von Peter Knüvener

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