von Martin Schulze

„Die schönsten Denkmäler mittelalterlicher Schnitzkunst in unserem Kreise“

Das Schicksal der Heiligen des Hermersdorfer Hochaltars

Martin Schulze ist Vorsitzender des Vereins Dorf und Kirche Hermersdorf e. V.


Anna Selbdritt, Schnitzfigur des ehemaligen Hermersdorfer Hochaltars; Fotos: Katharina Geipel

So mancher Altar hat eine wechselvolle bis dramatische Geschichte; er wurde zum Beispiel in Kriegen ausgelagert oder wanderte zwischen Dorfkirchen hin und her. Doch so abenteuerlich wie beim Hermersdorfer Hochaltar ist das Schicksal zum Glück nur selten: Erst wurde er auf einem Dachboden „entsorgt“, dann in ein Museum gebracht, dort im Zweiten Weltkrieg bis auf zwei Figuren zerstört und schließlich dauerte es Jahrzehnte, bis diese Figuren wieder öffentlich ausgestellt wurden.

Für die Mitglieder des Fördervereins Dorfkirche Hermersdorf e. V. war der 27. Juni 2020 ein geradezu historischer Tag. An diesem Sonnabend wurden in der Stadtpfarrkirche St. Marien in Müncheberg (Landkreis Märkisch-Oderland) nach einem fast dreißigjährigen Aufenthalt in einer Restaurierungswerkstatt die beiden letzten noch verbliebenen Skulpturen des ehemaligen Hochaltars in einer Vitrine aufgestellt und damit wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Damit fand ein über achtzehn Jahre andauerndes Bemühen seinen krönenden Abschluss. Was hat es mit dem Altar auf sich und vor allem, welche Geschichte können diese Figuren uns erzählen?

Kurz nach der Gründung unseres Fördervereins im Jahr 2001 sind wir vom damaligen Müncheberger Pfarrer Ulrich Baller auf die Existenz und die wechselvolle Vorgeschichte der beiden Altarfiguren der heiligen Anna Selbdritt und des heiligen Petrus aufmerksam gemacht worden. Erste Recherchen wurden angestellt, um mehr Einzelheiten darüber zu erfahren. Nach Gesprächen mit Vertretern des Konsistoriums, mit der Restauratorin Katharina Geipel und einer Besichtigung der Figuren in ihrer Berliner Werkstatt war unser Interesse für eine Wiederaufstellung in der Hermersdorfer Kirche geweckt worden. Bis dahin sollten aber noch Jahre vergehen.

In den Jahren 1836/37 wurde die Hermersdorfer Kirche außen wie innen umfangreich renoviert. Heute ist kaum noch vorstellbar, dass im Rahmen dieser Maßnahme der aus dem frühen 16. Jahrhundert stammende Flügelaltar samt seiner acht Skulpturen entfernt und auf dem Dachboden des nebenan befindlichen Pfarrhauses abgestellt wurde. Erst als dieses Gebäude im Jahre 1867 umgebaut werden sollte, wurden sie geborgen und dem in Müncheberg befindlichen „Heimatmuseum des Kreises Lebus“ übergeben. In seiner Chronik von 1901 schrieb der damalige Hermersdorfer Pfarrer Lehmann: „Bei diesem Umbau wurden auch die uralten Flügelbilder, die seit dem Mittelalter den Hermersdorfer Altar geschmückt hatten, in das Müncheberger Altertumsmuseum gebracht.“ 

Petrus, Schnitzfigur des ehemaligen Hermersdorfer Hochaltars

In den „Mitteilungen des Vereins für Heimatkunde des Kreises Lebus in Münche-berg“ heißt es: „Die gefährdeten Altertümer, besonders die kirchlichen, denen damals von der Bevölkerung noch wenig Wert beigelegt wurde, fanden ein schützendes Heim im Museum. So sind beispielsweise die schönsten Denkmäler mittelalterlicher Schnitzkunst in unserem Kreise, acht Figuren des ehemaligen „Hermersdorfer Hochaltars (….) nachweislich dadurch vor dem sicheren Untergang bewahrt worden.“

Das Müncheberger Heimatmuseum wurde dann aber im Zweiten Weltkrieg zerstört. Wie wir heute wissen, blieben vom Altar nur die Figuren der Anna Selbdritt und des Petrus erhalten. Sie fanden einen Platz in einem Versammlungsraum des Konsistoriums der damaligen Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Dort blieben sie bis zum Beginn der 1990er Jahre, obwohl es schon Anfang der 1960er Jahre seitens der Kirchengemeinde Hermersdorf Überlegungen gab, die Figuren wieder in der Kirche aufzustellen. 

Fachleute sind der Auffassung, dass die Skulpturen von einem qualitativ hohen Niveau sind. Die Restauratorin Katharina Geipel führte an den Figuren erste Arbeiten durch und kam in ihrem Gutachten zu der Einschätzung, dass sie in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts gefertigt sein könnten. Beide Skulpturen sind 101 cm groß, aus Lindenholz halbplastisch geschnitzt und rückseitig nicht ausgebeilt. Für den Kunsthistoriker Dr. Peter Knüvener haben diese Figuren einen besonderen Wert. In einem Beitrag der Zeitschrift „Brandenburgische Denkmalpflege“ erläuterte er, dass sie eine künstlerische Ähnlichkeit mit Flügelaltären hätten, welche sich zum Teil bis heute in verschieden Kirchen Berlins und Brandenburgs befinden. Er äußerte die Ansicht, dass derartige Figuren in unserer Gegend außerordentlich selten seien und ihre Ausstellung ein großer Beitrag zur Sichtbarmachung der Kulturgeschichte unserer Region wäre. 

Beide Figuren haben die Zeiten überdauert und ihre Geschichte sollte eine Fortsetzung erfahren. Einen neuen Impuls bekamen unsere Bemühungen um die Rückkehr im Jahr 2012 bei einem in der Hermersdorfer Kirche angesetzten Arbeitstreffen, zu dem wir Vertreter der kirchlichen Behörden, der Denkmalschutzbehörden, der Kirchengemeinde und der kommunalen Verwaltung eingeladen hatten. Frau Geipel brachte die Figuren mit nach Hermersdorf; vermutlich waren diese somit nach mehr als 150 Jahren erstmals wieder in „ihrer Kirche“ zu bewundern. Neben der Restauratorin waren bei diesem Treffen als weitere Sachverständige Werner Ziems vom Referat Restaurierung und Bauforschung des Landesdenkmalamtes und der Kunsthistoriker Dr. Peter Knüvener zugegen.

Vitrine mit den Skulpturen in der Stadtkirche St. Marien zu Müncheberg; Foto: Martin Schulze 

Bei dem Treffen wurde der Beschluss gefasst, die Altarfiguren möglichst bald wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Da die Hermersdorfer Kirche aufgrund ihres baulichen Zustandes zum damaligen Zeitpunkt dafür nicht in Frage kam, einigte man sich auf eine Präsentation in der Müncheberger Stadtpfarrkirche St. Marien. Gemeinsam mit der Kirchengemeinde konnte dort ein möglicher Standort für die Figuren gefunden werden. Um dessen Eignung genauer beurteilen zu können, mussten die klimatischen Bedingungen in der Kirche über einen Jahreszyklus erfasst werden. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit gelegt, da die Kirche mit einer Heizung ausgestattet ist. Für die fachliche Beurteilung in diesen Fragen stand uns Werner Ziems zur Seite. Nach seiner ersten Einschätzung sollten die Altarfiguren in einer Vitrine aufgestellt werden.

Für unseren Förderverein, der nicht ohne Grund den programmatischen Namen „Dorf und Kirche Hermersdorf“ trägt, stellte sich nun die schwierige Aufgabe, die Restaurierung der Kirche voranzubringen und diese gleichzeitig mit kulturellen Angeboten der Dorfgemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Ab dem Jahr 2013 konzentrierten sich unsere Bemühungen auf die Neueindeckung des Kirchendaches, eine Mammutaufgabe, wie sich bald herausstellen sollte. So kam es, dass das „Projekt Altarfiguren“ in den Hintergrund geriet und erst sechs Jahre später durch unser neues Vereinsmitglied Prof. Dr. Ortwin Simon wieder an Interesse gewann. Er ergriff die Initiative und nahm den Kontakt mit allen wichtigen Partnern wieder auf. Nach einer weiteren Begutachtung der Figuren durch Herrn Ziems und Frau Geipel wurden die endgültigen Bedingungen für eine Präsentation festgelegt. Somit konnte der Auftrag für den Bau einer Vitrine erteilt und die Aufstellung in der Müncheberger Stadtpfarrkirche gemeinsam mit der Kirchengemeinde und der Betreibergesellschaft abgestimmt werden. Bis zuletzt galt es immer wieder, kleine und größere Hürden dafür zu überwinden.

Figuren des Hermersdorfer Altars im Müncheberger Heimatmuseum (ca. 1929); Foto: Privatbesitz

Die heilige Anna Selbdritt und der heilige Petrus haben nun in der Nähe ihres ursprünglichen Standortes wieder einen Platz in einer Kirche gefunden und können dort bestaunt und bewundert werden. Für uns aber ist ihre Geschichte noch nicht zu Ende. Ihre Restaurierung soll vollendet werden, wenn die dafür veranschlagte Summe von 9.000 Euro zur Verfügung steht. Möglichst bald sollen dann beide Figuren nach Abschluss der Bauarbeiten auch wieder in „ihre Kirche“ nach Hermersdorf umziehen.

Wir sind dankbar für jede Spende, die uns unserem Ziel, die Altarfiguren abschließend restaurieren zu lassen, näher bringt.

Spendenkonto: Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. IBAN DE94 5206 0410 0003 9113 90 BIC GENODEF1EK1 (Evang. Bank)

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