Zwei Arten, einen Fachwerk-Kirchturm zu sanieren

Im Landkreis Potsdam-Mittelmark werden zur Zeit mit Unterstützung des Förderkreises Alte Kirchen die Kirchtürme der Dorfkirche in Wollin und der Stadtpfarrkirche St. Marien in Pritzerbe saniert. Beide Kirchtürme wurden in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in fast gleicher Bauweise errichtet: Über dem auf quadratischem Grundriss in massivem Mauerwerk errichteten und verputzten Sockelgeschoss, das als Eingangshalle ausgebildet ist, setzt sich der Turm in drei weiteren Geschossen als Holzfachwerk-Konstruktion fort. Über der Eingangshalle befindet sich ein Geschoss, das Zugang zum Dachraum über dem Kirchenschiff gewährt, es folgt das Glockengeschoss und darüber das Uhrengeschoss. Oben aufgesetzt ist der Turmhelm oder die Haube. Das Holzfachwerk ist von außen nicht ohne weiteres zu erkennen, weil dem Fachwerk ringsum eine verputzte Ziegelschale vorgeblendet ist. Der Turm wirkt dem spätbarocken Zeitgeschmack entsprechend wie ein einheitlicher massiver Putzbau. Es ist jedoch das Fachwerk, das die abschließende Dachhaube und den Glockenstuhl trägt und den Turm gegen Windlasten aussteift. Die vorgemauerte Schale trägt zwar ihre Eigenlast, muss sich gegen Windlasten aber an das Fachwerk klammern. Diese notwendige Verklammerung wurde zur Bauzeit so gelöst, dass die Hölzer des Fachwerks von drei, die Eckstiele sogar von allen vier Seiten eingemauert wurden. Und damit war der Bauschaden sowohl in Wollin als auch in Pritzerbe programmiert: Der Putz ist ohne schützenden Anstrich. Feuchtigkeit aus Schlagregen dringt in Putz und Mauerwerk ein. Regelrechte Einfallstore des Regenwassers sind Risse in Putz und Mauerwerk in Verbindung mit fehlenden Blechabwässerungen auf den umlaufenden Gesimsen. Am stärksten von Regen beaufschlagt sind die Westfassaden der Türme. Da die eingedrungene Feuchtigkeit zu wenig ablüften kann, wird das vom Mauerwerk umgebene Holz allmählich feucht – ein gefundenes Fressen für holzzerstörende Pilze und Faulholz-Insekten. Deren Zerstörungswerk dauert viele Jahrzehnte und kann tückischerweise erst bemerkt werden, wenn es zu spät ist. In Wollin und Pritzerbe war es zu spät.

Dorfkirche Wollin

Der Kirchturm der 1751 errichteten Kirche ist von weitem zu sehen. Erst aus der Nähe ist zu erkennen, dass die Abwässerung des Gesimses oberhalb des zweiten Turmgeschosses schadhaft und eine Verblechung zur aufgehenden Putzfassade nicht vorhanden ist. Die kniehoch umlaufende Verfärbung des Putzes zeigt eine anhaltende Durchfeuchtung des Mauerwerks an. Es haben sich schon Algen angesiedelt. Der Putz der Westfassade ist im Bereich der Fachwerkgeschosse von den eingedrungenen Niederschlägen ganz grau geworden. Auffällig sind merkwürdige vertikale Eisenbänder an den Ecken des dritten und vierten Turmgeschosses. Im Turminneren klärt sich das Rätsel auf: Um den Turm wegen der massiven Schäden am Fachwerk zu stabilisieren, wurde im Zuge einer früheren Sanierung das alte Fachwerk durch einen innen eingestellten zweiten neuen Fachwerkturm stabilisiert. An die derart ertüchtigte Fachwerkkonstruktion wurden in vier übereinander liegenden Ebenen Spannstähle eingebaut, die an den Außenecken mit Eisenbändern verschwertet sind, um die Mauerwerksschale sicher mit dem Turmfachwerk zu verbinden. Das Ziel der aktuellen Sanierung ist in Anknüpfung an das früher gewählte Verfahren, die schadhaften Althölzer des ursprünglichen Fachwerks nicht auszubauen, sondern zu dessen Entlastung den eingestellten zweiten Fachwerkturm instand zu setzen und zu ergänzen. Auf die Spannstähle oder mindestens auf die den äußeren Anblick störenden Eisenbänder soll verzichtet werden.

Der Kirchturm in Wollin vor Beginn der Sanierungsarbeiten

Doch dazu wird es zunächst einmal nicht kommen. Erst als vom Gerüst aus die Schieferdeckung und die Schalung der schönen dreifach geschweiften Haube entfernt wurden, konnten die massiven Holzschäden erkannt werden. Die Zimmererfirma Timpe aus Lütte bei Belzig hat die Haubenkonstruktion fast ganz erneuern müssen. Mit derartigen Mehrkosten hatte Architektin Heidrun Fleege nicht gerechnet. Für die Sanierung des Turmschaftes reicht nun das Geld nicht mehr. Es muss ein weiterer Bauabschnitt gebildet und eine ergänzende Finanzierung gefunden werden.

Der eingerüstetet Kirchturm in Wollin vor Beginn der Sanierungsarbeiten

Stadtpfarrkirche St. Marien in Pritzerbe

Der eingerüstete Kirchturm in Pritzerbe. Ein Teil des Fachwerks ist bereist erneuert.

Die Stadtpfarrkirche St. Marien musste nach einem verheerenden Brand in den 70er-Jahren des 18. Jahrhunderts neu errichtet werden. Der Turm wurde 1786 fertiggestellt. Im Zuge einer im Jahr 2001 abgeschlossenen Sanierung wurde der spitze Helm des Turmes instand gesetzt und das Fachwerk der westlichen Turmfassade im Bereich einschließlich des Vormauerwerks komplett abgerissen und neu errichtet. Dabei wurde die notwendige zwei Finger breite Hinterlüftung zwischen den Hölzern und dem Mauerwerk beachtet. Seitdem sind in diesem Bereich keine neuen Schäden aufgetreten. Ein aktuelles Holzgutachten attestierte jedoch auch der nördlichen und südlichen Seite des Turmfachwerks erhebliche Schäden. Geplant war hier nach der vorsichtigen Absaugung des giftigen Staubes des Holzschutzmittels Hylotox aber nur ein partieller Austausch von Fachwerk und Mauerwerk. Doch die Zimmerer der Firma ’Aufbau’ aus Chemnitz stellten bald nach Beginn der Arbeiten fest, dass fast alle Althölzer in den Abfallcontainer wandern mussten.

Ein Zimmerer der Chemnitzer Firma „Aufbau“ beim Zuschneiden von neuen Fachwerkhölzern.

So mussten wie schon bei der früheren Sanierung die westliche jetzt auch die nördliche und südliche Turmfassade vollständig abgetragen werden. Das Geld reicht wegen der beträchtlichen Mehrkosten aber nur noch für den Wiederaufbau der Fachwerkkonstruktion. Der Architekt Stefan Winkler schlägt vor, die offenen Turmfassaden provisorisch mit einer Lärchenholzverschalung zu versehen bis eine Finanzierung für den Wiederaufbau der Mauerwerksschale und die restlichen zur Turmsanierung erforderlichen Arbeiten gefunden ist.

Text und Fotos: Hans Tödtmann

Vorheriger Beitrag
75 Jahre nach Kriegsende – Misstraut den Grünanlagen!

Auf dem Friedhof rund um die Kirche im uckermärkischen Dorf Sternhagen fallen zwei ungewöhnliche Grabdenkmale auf: Ein schlichtes Holzkreuz trägt lediglich die Aufschrift „Unbekannte Flamen April 1945“. Geschmückt ist das […]

weiterlesen
Nächster Beitrag
Die Rettung einer Gutskapelle

Das Dörfchen Horst in der Ostprignitz ist etwa in der Mitte zwischen Kyritz und Pritzwalk gelegen, jedoch abseits der großen Straßen. Nicht einmal hundert Einwohner leben hier und Touristen verirren […]

weiterlesen