Per Bahn in die Altmark

Besuch in der „Perle der Bachsteingotik“

Nur eine Eisenbahnstunde trennt Berlin von Stendal, aber was für ein Unterschied! Raus aus der überfüllten, lauten Hauptstadt mit ihrem immerwährenden Getriebe in die hinreißend renovierte, fröhlich und friedlich anmutende Kleinstadt Stendal in der dünn besiedelten Altmark. Ein spannendes Erlebnis für die FAK-Mitglieder aus Berlin, Hamburg, Stahnsdorf und Kleinmachnow, die im Juni an der Exkursion nach Stendal teilgenommen haben. Fachkundig geführt von Andrea Molkenthin, heute Baupflegerin im Kirchenkreis Potsdam-Mittelmark. Gebürtige Stendalerin, lange in der Stadt dort als Bauingenieurin im Kirchenbereich tätig, mit der Geschichte und dem Leben der Stadt eng vertraut und der Stadt emotional auch heute noch verbunden.
Die Stadt erschließt sich fußläufig vom Bahnhof. In kurzer Distanz vorbei an der Stiftskirche, dem „Dom“ St. Nikolaus direkt ins Zentrum. Und sofort ist klar, warum Stendal „Perle der Backsteingotik“ genannt wird. Mit dem Dom insgesamt fünf Hallenkirchen, Meisterwerke mittelalterlicher Baukunst: Marienkirche, Jacobikirche, Petrikirche und die St. Anna-Kirche des ehemaligen Franziskaner-Klosters auf engem Raum der Innenstadt.
Erste Station in der Marienkirche. Eine musikalische Andacht, wie sie dort jeden Samstag im Sommer um elf Uhr stattfindet. Diesmal eine Gruppe von Blechbläsern der örtlichen Musikschule, die für eine halbe Stunde die Kirche mit ihrer wunderbaren Akustik ausfüllen und das Herz wärmen.

In der Petri-Kirche führt FAK-Mitglied Walter Pölking in die ikonographische Bedeutung der zahlreichen Heiligen am Altar ein. Foto: Andrea Molkenthin


Im großen Bogen dann durch kleine Gassen mit renovierten Bürgerhäusern, am Ünglinger und am Tangermünder Tor vorbei; ein Blick auf den Pulverturm, die Wehranlage als Rest der alten Stadtbefestigung. Auf die alte Lateinschule, wo Johann Heinrich Winckelmann, der Archäologe, zur Schule ging und die heute Museum ist. Zurück ins Zentrum mit Rathaus, Kaufhaus Ramelow, das schon 1188 erstmalig erwähnt wird, dem Roland. Im offenen Foyer des Rathausgebäudes ein einladendes Café. Den Berlinern fällt vor allem ins Auge, dass der aufwendig renovierte Marktplatz definitiv autofrei ist. Eine Erholung für Auge und Ohr. Vielleicht sollten noch ein paar Bänke dazu kommen.
Die Hansestadt Stendal ist heute Kreisstadt des Landkreises Stendal, und mit ca. 39.000 Einwohnern die größte Stadt der Altmark. Sie hat eine lange Vergangenheit, wurde bereits 1160 von dem Brandenburger Markgraf Albrecht dem Bären gegründet.
In der DDR war Stendal der wichtigste industrielle Standort im Norden des Bezirks Magdeburg, unter anderem mit dem Reichsbahnausbesserungswerk (RAW), dem VEB Dauermilchwerk dem Stahlmöbel- und Wärmegerätewerk (STIMA) und dem VEB Geologische Erkundung / VEB Geologische Forschung und Erkundung. Stendal war auch Sitz des Bezirksinstitutes für Veterinärwesen (BIV), das aus dem Tiergesundheitsamt (TGA) und der Bezirks-Tierklinik hervorgegangen war und nach 1990 in das Staatliche Veterinär- und Lebensmitteluntersuchungsamt umgewandelt wurde.1974 wurde nördlich von Stendal mit dem Bau des Kernkraftwerkes Stendal begonnen, das allerdings nie in Betrieb ging und nach der Wiedervereinigung abgebrochen wurde.
Die Stadt geriet im zweiten Weltkrieg hauptsächlich aufgrund der dort stationierten Truppenteile der Wehrmacht, zunehmend in den Fokus alliierter Bombenangriffe. Es kam häufig zu Luftkämpfen über Stendal, bei denen alliierte Bomber und deutsche Jagdflugzeuge auch über der Stadt oder in der Nähe abstürzten. Stendal und die dort auf dem Fliegerhorst Stendal-Borstel stationierten Jagdgeschwader lagen direkt in der Einflugschneise der Bomberverbände, die Berlin als Angriffsziel zugewiesen bekommen hatten.
Die Erinnerung an diese Stadt vor der Wende fällt bei den Teilnehmern der Exkursion nach Stendal ganz unterschiedlich aus, je nach persönlicher Herkunft. Die einen erinnern sich gut an das Leben in dieser Stadt, die anderen haben als Transitreisende von der Bahn aus nur den Verfall wahrgenommen.
Die Restaurierung der Stadt hat Millionen gekostet. Gut überlegt angelegtes Geld! Es wird nicht bei diesem einen Besuch in Stendal bleiben, darin waren sich nach diesem Tag alle einig

Theda von Wedel

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