Durch die Zeiten verbunden
Eine unverhoffte Begegnung mit Jühnsdorfs Geschichte

Die Märkische Elektrizitätswerk AG hat im April 1938 die Dorfkirche in Jühnsdorf an die Stromversorgung angeschlossen. Eine Rechnung vom 7. April 1938 in unserem Kirchenarchiv gibt darüber Auskunft. Was bis vor kurzem aber noch fehlte, war der Anschluss an die Wasserversorgung.
In den letzten Jahren haben wir, die Evangelische Kirchgemeinde Blankenfelde-Jühnsdorf, in, an und um unsere Dorfkirche herum verschiedene Bau- und Restaurierungsarbeiten durchgeführt. Da die Kirche bislang keinen Wasseranschluss hatte, mussten die Handwerker Wasser mitbringen oder es wurden Schläuche zu den Nachbargrundstücken gelegt. Auch die Pflege der Außenanlagen war ohne einen eigenen Wasseranschluss äußerst beschwerlich. Das sollte nun endlich im Jahr 2024 behoben werden.
Aber so einfach war das nicht. Seit 1997 ist die Dorfkirche Jühnsdorf mit ihrem Kirchhof (alter Ortsfriedhof um die Kirche herum) in das Denkmalverzeichnis des Landkreises Teltow-Fläming eingetragen. Ein Antrag auf die denkmalrechtliche Erlaubnis für die Verlegung eines Wasseranschlusses und die Planungen dazu mussten zunächst bei der Unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Teltow-Fläming eingereicht, und deren Erlaubnis erbeten werden. Der Bescheid dazu erging am 15. März 2024. Mit der Erlaubnis wurde auch die Auflage erteilt, dass die Grabungen durch eine Fachfirma unbedingt durch archäologische Fachleute zu begleiten sind und eventuelle Funde dokumentiert werden müssen. Schon in der Planungszeit hatte ich mir bewusst gemacht, dass uns bei den Arbeiten etwaige Funde erwarten könnten. Der Kirchhof wird seit dem Jahr 1901 nicht mehr für Beisetzungen genutzt. Nur im Jahr 1976 fand Dr. Willy Lademann (1884–1976), der Buchautor und bekannte Heimatforscher des Teltower Platt, neben seinen Eltern und Vorfahren an der Südseite der Dorfkirche, seine letzte Ruhestätte nahe der Kirche. Der neue kirchliche Begräbnisplatz wurde am Glasower Weg in Jühnsdorf auf Beschluss des Gemeindekirchenrates vom 1. April 1900 für 600 Reichsmark erworben. Im Jahr 1909 wurde auf dem neuen Friedhof eine Kapelle von der Gräfin Elisabeth von dem Knesebeck gestiftet.

Der 15. Juli 2024 war ein sehr warmer Sommertag. Alle Formalitäten waren erledigt. Die Bauarbeiten begannen. Kaum zwei Stunden nach Beginn der Grabungen klingelte mein Telefon. Der Archäologe Herr Jacob teilte mir mit, dass an der Stelle, wo unser Wasseranschluss gesetzt werden sollte, die Gebeine eines Menschen gefunden wurden. Die Handwerker durften nicht weiterarbeiten. Mit gebotener Vorsicht und sehr respektvoll legte der Archäologe Schritt für Schritt den Fund frei. Im hellen Sonnenschein leuchtete uns aus dem tiefen Schacht ein Schädel entgegen. Archäologe Jacob erklärte, was zu sehen war: „Hier liegt eine Frau begraben.“ Er kletterte über eine Leiter in die Grube und zeigte mir die dünnen Reste der Holzwände des Sarges. Vorsichtig legte er mit feinem Werkzeug weitere Teile des Skelets frei, um es für die spätere Bergung vorzubereiten. Da der Wasseranschluss genau an diese Stelle gesetzt werden sollte, konnten die menschlichen Überreste dort nicht bleiben. Zuletzt war das gesamte und noch sehr gut erhaltene Skelett in der Grube zu sehen. Jacob hat alles ordnungsgemäß vermessen und dokumentiert. Die Friedhofsverwaltung unserer Kirchengemeinde brachte schließlich zur Verwahrung ein Transportbehältnis. Die Gebeine wurden vorsichtig geborgen und sorgsam in das Behältnis verpackt und anschließend in die Kirche bis zu einer späteren Bestattung verbracht. Das Transportbehältnis wirkte dabei auf mich beinahe wie ein Umzugskarton. Sinnbildlich musste hier tatsächlich ein Mensch nach so langer Zeit in der Erde noch einmal umziehen.
Dann kamen Fragen: Wer war die Frau? Wie hieß sie wohl? Wann wurde sie bestattet? War sie verheiratet und hatte Kinder? Und wie Jühnsdorf wohl aussah, als sie hier lebte? Wer waren ihre Nachbarn? Wer hat um sie geweint und sie betrauert? War sie vielleicht eine Vorfahrin von den Menschen, die heute noch in Jühnsdorf leben?
Da es kein Bestattungsverzeichnis des alten Kirchhofs in unserem Archiv mehr gibt, bleiben diese Fragen leider unbeantwortet.
Mir war es ein großes Anliegen, dass die Gebeine unserer unbekannten Jühnsdorferin wieder an unserer Kirche beigesetzt werden. Hier war weit über einhundert Jahre ihre letzte Ruhestatt, hier sollte sie auch wieder würdig bestattet werden.
Am Sonntag, den 22. September 2024, haben wir im Rahmen des Gottesdienstes unsere unbekannte Jühnsdorfer Vorfahrin zum zweiten Mal an der Jühnsdorfer Dorfkirche festlich beigesetzt. Eine kleine Trauergemeinde hat sie mit Geleitworten, Psalmen und Gebeten neuerlich Gott ans Herz gelegt. Möge Sie nun für immer im Schatten unserer Dorfkirche auf dem alten Gottesacker in Frieden ruhen.
Bärbel Wunsch
