Moses stand mit leeren Händen da
Das erste Restaurierungsprojekt des Fördervereins Warchauer Dorfkirche
12 I ALTE KIRCHEN I JUNI 2025

Vom Kirchenschiff der romanischen Feldsteinkirche in Warchau (Potsdam-Mittelmark) sind die drei Prinzipalstücke Altar, Taufstein und Kanzel, mit einem Blick zu erfassen. Der Apsisbogen wird durch den neogotischen Altar mit dem großen Kruzifix ausgefüllt. Mitten unter dem Chorbogen steht der Taufstein zwischen Schiff und Chor. Das beherrschende Ausstattungsstück ist die Kanzel, ein um 1720 entstandenes Werk des Barock.

Eine historische Innenansicht der Warchauer Kirche von etwa 1900 zeigt die Kanzel ohne die späteren Verluste. Der Kanzelkorb hängt wie ein Schwalbennest links vom Chorbogen an der Wand, so dass sich der predigende Pfarrer etwa auf halber Höhe zwischen Boden und Decke des Schiffs befindet. Der Prediger sollte auch von der Empore aus zu sehen und zu hören sein. Sowohl der Kanzelkorb als auch der Schalldeckel bilden im Grundriss ein, wegen der Einfügung in die Kante des Chorbogens, unvollständiges Sechseck.Der Aufgang zur Kanzel beginnt – vom Schiff aus kaum zu sehen – links im Chor neben dem noch aus der Renaissance stammenden Patronatsgestühl. Eine Tür führt zum Aufgang. Das Patronatswappen ziert den Türsturz. Das Treppengeländer ist in drei Felder gegliedert, die sich in der Brüstung des Kanzelkorbes fortsetzen. Alle diese Felder sind in ähnlicher Weise durch Schnitzwerk dekoriert: In Feldmitte befindet sich ein Blätterkranz. Zwischen den Feldern sind Blattwedel eingefügt. Darunter zieht sich ein kräftiges mit Rankwerk verziertes Wulstprofil längs der Treppe und um die Kanzel herum. Den oberen Abschluss der Brüstung von Treppe und Kanzel bildet ein wuchtiges, glattes Profilband. Nach unten schließt die Kanzel ab mit einer aus mehreren gekrümmten Kreisausschnitten zusammengesetzten Schale, die ihrerseits von einer geschnitzten Moses-Skulptur getragen wird. Moses hält mit ausgebreiteten Armen die Tafeln mit den zehn Geboten.
Über der Kanzel ist der wiederum mit Schnitzwerk reich verzierte Schalldeckel angebracht. Dessen Ränder werden dominiert von einem breiten Palmetten-Fries, der oben und unten durch gekehlte Profile abgeschlossen wird. Von der unteren Profilleiste herab hängt ein mit Blüten dekorierter Bogenbehang. Er verdeckt ein wenig die sechseckige Untersicht des Schalldeckels, in deren Mitte sich die Skulptur einer im Strahlenkranz herabfliegenden Taube als Symbol des Heiligen Geistes befindet.
Über dem oberen Kehlprofil sind kunstvoll geschnitzte Kartuschen mit christlichen Symbolen zu sehen: Der Kelch, das Kreuz, die Lanze und der Essigschwamm. Die Oberseite des Schalldeckels schließlich ist von einer Christus-Salvator-Skulptur bekrönt. Der Auferstandene hält die Fahne des Sieges über den Tod triumphierend in der rechten Hand.
Der Förderverein Warchauer Dorfkirche gründete sich im Sommer 2021. Die Dorfkirche ist die Taufkirche von Eberhard Bethge, dem Versöhnungstheologen, Freund und Biographen Dietrich Bonhoeffers. Der Verein unterstützt organisatorisch Veranstaltungen der Kirchengemeinde, besonders den jährlichen Festvortrag zur Erinnerung an Bethge, und lädt die Dorfbewohner zu eigenen kulturellen und geselligen Veranstaltungen ein. Das Projekt der Restaurierung der Kanzel ist das erste einer Reihe vom Verein unter dem Vorsitz von Dr. Eckhardt Hamann konzipierter Vorhaben, die schrittweise die Restaurierung des Inneren der Kirche zum Ziel haben – mit Zustimmung, aber ohne finanzielle Unterstützung der Kirchengemeinde.
Die Auswahl der Kanzel als erstes Sanierungsprojekt war kein Zufall: Die Schäden waren unübersehbar. Diebstahl und Vandalismus hatten in den 1970er-Jahren zum Verlust der Christus-Salvator-Skulptur und der Taube über bzw. unter dem Schalldeckel geführt. In mehreren Brüstungsfeldern der Kanzel und des Aufgangs fehlten die Blätterkränze. Und Moses stand mit leeren Händen da. Ein Teil der verloren geglaubten floralen Applikationen und die beiden Gesetzestafeln fanden sich allerdings bei der Vorbereitung des Projekts in einem Karton auf dem Dachboden des Wusterwitzer Pfarrhauses wieder.

Der Förderverein beauftragte den Restaurator Janko Barthold mit der Restaurierung der Kanzel. Die Arbeiten begannen im Herbst 2024. Es stellte sich heraus, dass der Schalldeckel in sich und seine Befestigung an der Wand so instabil waren, dass er demontiert und in der Werkstatt auseinandergenommen werden musste. Stellenweise hatten Nagekäfer die Holzsubstanz geschwächt. Hier wurde ein Festigungsmittel eingesetzt. Bevor die Holzteile wieder mit Holznägeln und Knochenleim zusammengefügt wurden, mussten alle Oberflächen fachgerecht gereinigt werden. Es stellte sich heraus, dass die Kanzel von Anbeginn holzsichtig war. Reste einer Farbfassung wurden – ungewöhnlich für eine barocke Ausstattung – nicht gefunden. Gefunden wurde hingegen eine braun gefärbte Lasur und an hervorgehobenen Partien Bronzierungen.
Zur Rekonstruktion der verlorenen Skulpturen zog der Restaurator den Holzbildhauer Igor Titov hinzu. Zum Glück ließ sich das historische Foto soweit vergrößern und bearbeiten, dass der Bildhauer für die Christus-Figur eine ausreichende Vorlage zur Hand hatte. Er stellte im Februar 2025 seinen Entwurf der beiden Plastiken in Zeichnung und Modell zur Freigabe vor. Am 25. Mai 2025 wird die Superintendentin Ute Mertens zu ihrer Festpredigt als erste die restaurierte und rekonstruierte Kanzel wieder betreten.
Hans Tödtmann
