Where Life and Death may dwell
Künstlerisches Arbeiten in der Kirche Dannenwalde
Als ich die Kirche von Dannenwalde im Landkreis Oberhavel zum ersten Mal betrat, war ich sofort von der intimen Atmosphäre ihres Innenraums ergriffen. Die Architektur wirkte auf mich menschlich proportioniert, in einer Weise neutral, die weder einschüchternd noch überwältigend war.
Das Fehlen von Ikonen, das Zurücktreten vor ornamentalem oder dramatischem Bildwerk, die gedämpften Blau-Grau-Töne und insbesondere die leeren hölzernen Wandtafeln, die den zentralen Raum umschließen, machten diesen Ort für mich unmittelbar zu einer Projektionsfläche für Gedanken, Ideen und Gefühle – wie eine unbemalte Leinwand.

Über die Jahre hinweg habe ich mich in meiner Arbeit intensiv mit christlichen Motiven auseinandergesetzt und meine Malerei oft auf biblische Erzählungen gestützt. 2018 entstand zudem eine kleine Kapelle als Kunstinstallation, Church I, in der ich bewusst nicht-religiöse Narrative einflocht. In diesem Raum ließ ich eine Art Bewusstseinsstrom einfließen, in dem alle Erinnerungen und flüchtigen Gedanken willkommen waren. So wurde er zu einem Tempel der freien Assoziation, einer Landkarte meines Unterbewusstseins.
Als die Einladung erging, in Dannenwalde zu arbeiten, entschieden wir uns, zunächst meine Studierenden der HfBK Dresden in den Prozess zu involvieren. Ich forderte sie auf, sich mit den unberührten Holzpaneelen auseinanderzusetzen und die Kirche mit eigenständigen Bildwelten zu füllen. Die Klasse wählte den Titel „Das Heilige und das Profane“, und viele Studierende griffen für ihre Arbeiten auf christliche Narrative und Archetypen zurück.
Nun, ein Jahr später, werde ich selbst auf den Raum reagieren. Im Mai beginnen wir
mit einer einjährigen Reihe von „Interventionen“, in denen ich die Kirche durch gezielte Inszenierungen in eine Art Gesamtkunstwerk verwandle. Bis zum Sommer 2026 wird der Raum schrittweise transformiert – zu einer vielschichtigen, farbenreichen Installation aus Malerei, Glasmalerei, Textilien, Skulpturen und weiteren Medien.
Wie in der christlichen Kunsttradition wird der menschliche Körper ein zentrales Motiv meiner Auseinandersetzung bilden. Allerdings werde ich mich nicht auf spezifisch biblische oder kulturgeschichtliche Narrative stützen, sondern den Körper als Medium nutzen, um transitorische Zustände zwischen Leben und Tod zu erforschen. In meinen architektonischen Bildwelten oszilliert der Körper zwischen Präsenz und Absenz, zwischen Vitalität und Erstarrung – er erscheint wach oder schlafend, konfrontativ oder unbewusst, als beseelte Figur oder als verlassene Hülle.
Wie bereits in meiner Installation Church I von 2018 werde ich das Unbewusste willkommen heißen, um das schwierige Thema von Leben und Tod zu erforschen. Es ist eine Realität, die einerseits unbestreitbar konkret, andererseits unfassbar und unwirklich bleibt – ein Paradoxon, das sich vielleicht am besten in einem traumartigen Zustand berühren lässt.
Als nicht-religiöse Person habe ich Kirchen meist aus zwei Gründen betreten: um Kunst und Architektur zu bewundern oder um von einem geliebten Menschen Abschied zu nehmen. Vielleicht deshalb verbinde ich diese Räume mit einer tiefen Wertschätzung für menschliche Kreativität und Inspiration, zugleich aber auch mit der schmerzlichen Erkenntnis unserer unausweichlichen Vergänglichkeit – der Tatsache, dass wir einander, uns selbst und alles, was wir kennen, verlieren werden. Diese Dualität wird in den verschiedenen Materialien, die ich in den kommenden Monaten in die Kirche einbringen werde, auf unterschiedliche Weise erforscht.
Gerade in Zeiten tiefgreifender Unsicherheit und kollektiver Besorgnis erweist sich Kunst als ein Medium von besonderer Dringlichkeit. Ich spüre das Bedürfnis, all die Traurigkeit, Angst, Bedrohung und Düsternis zu verarbeiten – aber ich kann dies nur tun und dabei bestehen, indem ich mich mit fast religiöser Hingabe der Kunst und der Schönheit widme. In dieser Hingabe liegt die Hoffnung, das Licht, das Schöne in der menschlichen Natur zu fühlen, zu sehen und festzuhalten, während wir gezwungen sind, uns der Dunkelheit zu stellen.
Helen Verhoeven
VORMERKEN
17. Mai 2025, 15 Uhr
Saisoneröffnung und Projektstart in der Kultur-und-Kirche-am-Weg Dannenwalde, Blumenower Straße 1, 16775 Gransee OT Dannenwalde
Eine multimediale Rauminstallation von Helen Verhoeven: Mit dem auf zwei Jahre angelegten Projekt WHERE LIFE AND DEATH MAY DWELL (Wo Leben und Tod wohnen mögen) verwandelt die international renommierte Künstlerin Helen Verhoeven mit unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen das Innere der Dannenwalder Kirche in ein vielschichtiges Gesamtkunstwerk aus Malerei, Glasmalerei, Textilkunst, Skulptur und weiteren künstlerischen Techniken. Auch ohne religiöses Bekenntnis verbindet die Künstlerin Kirchenräume mit einer tiefen Wertschätzung für die Dimensionen menschlicher Existenz, zugleich aber auch mit der schmerzlichen Erkenntnis unserer Vergänglichkeit. Mit dieser Dualität setzt sie sich über die kommenden Monate künstlerisch auseinander und lädt die Besucherinnen und Besucher ein, nach Dannenwalde zu kommen und diesen Prozess mitzuerleben.
